ESC: Skandal 2006

Am Wochenende wird mal wieder über Deutschland abgestimmt. Mal wieder entscheidet sich beim Eurovision Song Contest die nationale Frage, alles wird an Lena hochsterilisiert, um es mal mit Bruno Labbadia zu formulieren. Weil dies hier aber in erster Linie ein Mandolinenblog ist, muss auf einen für uns bedeutsamen Skandal hingewiesen werden: 2006 hielt es Slowenien nicht für nötig, seine Sängerin Saša Lendero zum Wettbewerb zu entsenden. Dabei sang sie im slownischen Vorentscheid das Stück Mandoline! Wir hätten ihr ohne Anhörens der Musik zwölf Punkte gegeben. Aber ging ja nicht. Stattdessen reiste ein Sänger an, der nicht mal ins Finale kam. Mit einer Mandoline wär das nicht passiert. Egal. Wählt sie doch, die aserbaidschanischen Schürzenluder! Wir Bluegrasser sind es gewohnt, dass der Ostblock Wettbewerbe gewinnt.

Jammen vorm WC

Während man sich´s an der Grevener Strandbar gut gehen ließ, waren die Besucher des EWOB eine Woche zuvor auf Bedachung und Beheizung angewiesen. Trotz dieser weniger inspirierenden Atmosphäre forderte der Trieb seinen Tribut: Es musste und sollte gejammt werden. Einer der beliebten holländischen Session-Orte in Voorthuizen liegt gleich vor der Toilette des Trefpunts – eine Ecke zwischen Garderobe, WC und Musikinstrumenten-Aufbewahrungsraum. Dort trafen sich in unserem Beispiel zu später Stunde Italiener, Tschechen, Deutsche und ein US-Amerikaner zum gemeinsamen Musizieren. Alle scheinen bei guter Stimmung – wirklich alle?


Martino Coppo von Red Wine (l.) und Peter O. Ruby von All Bells & Whistles sind noch wach – doch was ist mit Gianni Stefanini von Bononia Grass? Ruht er auf Rubys Rücken? Während des Mandolinierens eingeschlafen?

Bluegrass, Rum und schöne Frauen

Tralala, Bacardi-Rum, tralala Bacardi Ruhummm, tralala … Oh, Verzeihung. Ich war gerade in Gedanken noch auf dem Festivalgelände von GrevenGrass – Klinik unter Palmen ist nichts dagegen! Am Ufer der Grevener Ems entfaltet sich karibisches Flair mit Bambushütten und ausladenden Liegen. Es gibt Pizza-, Pommes- und Bierstand nebst einer tropischen Bar und dazu jede Menge Sonne. Ach so: und Bluegrass auch. Ob der gemeine Grevener allerdings deshalb das Gelände aufsucht? Jedenfalls kann sich der Freund der amerikanischen Volksmusik noch heute den ganzen Nachmittag und Abend dort umtun. Mit Einbruch der Dämmerung werden auch die Looping Brothers mit ihrem Gast-Banjospieler Jerry Wayne Johnson wieder auf der Bühne stehen. Gestern eröffneten sie das Festival in gewohnt lässig-lustiger Manier. Uli Sieker ist nicht nur an der Mandoline gleichsam unbezahlbar. Auch seine Moderation ist Gold wert. Dabei nimmt er allerdings keine Rücksicht auf zarte Gemüter. Als Gitarrist Matthias Malcher aus dem Nachbarort Lengerich davon schwärmte, dass in seiner Heimat so ein schönes Festival wie ein Pilz aus dem Boden geschossen sei, hörte man´s von links brummen: „Schimmelpilz“. So isser, der Mando-Mann.


Die Loopings im Dienste des örtlichen Handwerks.

Offiziell angewidert

So langsam wird doch spürbar, dass die Fußball-WM näher rückt. Auf allen möglichen Gegenständen des täglichen Bedarfs prangt mittlerweile das DFB-Logo, verbunden mit Hinweisen wie: offizielles Bier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, offizielle Nuss-Nougat-Creme der deutschen Fußballnationalmannschaft, offizieller Scheißhauspapierlieferant der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Gibt es inzwischen eigentlich auch schon den offiziellen Fertighaushersteller der deutschen Fußballnationalmannschaft? Oder den offiziellen Banjolieferanten des Teams? Ich wende mich jedenfalls offiziell davon ab und übergebe mich ganz offiziell. Und zur Erholung wende ich mich Tim O’Brien und seiner Oktavmandoline von Giacomel und seinem Song More Love zu. Und Freunde der freien Luft: ans Greven Grass Festival morgen und übermorgen denken!

Zeit für Bildung

Deutschland und der Euro stehen am Abgrund, aber eins scheint festzustehen: Im Bereich Forschung und Bildung soll nicht gespart werden. Recht so! Wie aber sieht es im Bereich der Bluegrass-Bildung aus? Aktuell läuft zum Beispiel die Ausschreibung für den zweiten Bluegrass-Workshop an der Bayerischen Musikakademie im fränkischen Hammelburg. Es wird ein fundierter Einblick in die typischen Bluegrass-Spielweisen geboten, der Instrumentalunterricht in Gruppen wird didaktisch und methodisch hochqualifiziert sein. Haltung, Technik, linke Hand, Plektrum, rechte Hand, Phrasierung, Übetechnik, usw. sind Stundeninhalte und sollen den Spielern die Sicherheit geben, instrumental-technisch und stilistisch auf die richtige Spur gestellt zu sein, heißt es in der Einladung.

Der Workshop workt vom 10. bis 12. August. Für die Mandolinenspieler steht Rupert Paulik als Lehrer bereit, die Gitarristen unterrichtet Oliver Waitze und unsere geliebten Banjofreunde nimmt Jürgen Biller unter die Fittiche. Die Kosten inklusive Unterkunft und Verpflegung betragen 230,- Euro, BDZler kriegen´s etwas günstiger. Aber Obacht: Die Zeit drängt ein wenig – am 11. Juni ist Anmeldeschluss. Näheres auf der Website.

Dr Dim müss gommen!

Ein freundlicher Mensch auf dem EWOB-Festival in Voorthuizen hat meine Regal-Dobro gekauft. Vor etwa zwei Jahren hatte ich mir das Instrument zugelegt, weil ich derartig auf diese Klänge stehe. Aber als Mandolinen- und Gitarrenmann waren mir doch wohl zu viele Hürden zu überspringen: die Picks, der Steelbar … Nun ja, Geschichte. Das Geld kann ich gut gebrauchen, um demnächst die Bünde meiner Kentucky abrichten und den Wurmfortsatz herunterschleifen zu lassen – damit das Geklacker beim Spielen mal aufhört. Fretboard Extension, zu deutsch: lästiger Griffbrett-Wurm.

Nun, jedenfalls stellte sich heraus, dass der freundliche Käufer eine spezielle Mandoline dabei hatte: eine Nugget, und zwar das Tim O’Brien Signature Model. Also das schwarze A-Modell, was der Tim immer spielt. Ein sehr schönes und wohl klingendes Instrument. Ob die Mandolinen aber ihren Erbauer Mike Kemnitzer reich gemacht haben? Der freundliche Mann berichtete, dass Kemnitzer zwar eine Warteliste pflegt, die für etwa zwei Jahre Arbeit sichert. Dennoch befindet sich der Meister offenbar oft auf den Straßen, um Workshops zu geben in Sachen Mandolin Setup. So bleibt sein Name im Gespräch. Sind das eigentlich sächsische Mandolinen? Chemnitzer? Isch vrgäss den Nomen jädnfalls ni, weil jo dr Dim Ö’Breien drauf spielt. Und dass ist einer meiner Helden. Ich will ihn in Deutschland, im Konzert und in einem Workshop! Das muss doch zu machen sein! Ich bin sicher: Alle Leser dieses Blogs stellen sich als freiwillige Helfer zur Verfügung, sollte das klappen. Hier spielt er zusammen mit Chris Thile You Are My Flower.


Ausdrucken, Ausfüllen und dann in eine schwarze A-Mandoline kleben: fertig ist das Tim-O’Brien-Model!

Im Verein voran

Während unsereins dem Vaterland bis gestern den Rücken gekehrt und sich auf dem EWOB-Festival in Holland getummelt hat, hat eine verwegene Gruppe im badischen Bühl daran gearbeitet, Deutschland voranzubringen. Oder besser: den Bluegrass in Deutschland voranzubringen. Im Rahmen des dortigen Bluegrass-Festivals kam es zur Gründungsversammlung der German Bluegrass Music Association, kurz GBMA. In der Satzung heißt es: „Zweck des Vereins ist die kulturelle Förderung der Bluegrass Musik in Deutschland mittels insbesondere Informationsaustausch, Vorträgen, Diskussionsrunden, Workshops, Konzerten und Veranstaltungen jeglicher Art, sowie das Erteilen von Starthilfen für Bluegrass-Musiker und Veranstalter. Durch die Aktivitäten des Vereins sollen die Bluegrass Musik bzw. deren kulturelle und historische Grundlagen vermittelt und das Praktizieren der Musik in Deutschland gefördert
werden.“

Den Vorsitz im Vorstand hat Friedrich Hog übernommen. Infos über die GBMA werden wohl demnächst auf der Website des Vereins publiziert. Im Vorfeld gingen die Meinungen über Sinn und Zweck eines solchen Zusammenschlusses weit auseinander – von unbedingt notwendig, vor allem als Träger einer deutschen Bluegrass-Fachzeitschrift, bis zu absolut überflüssig, da die Szene in Deutschland auch per E-Mail-Verteiler zu vernetzen sei, reichten die Ansichten. Jetzt ist der GBMA-Lick erstmal gespielt und es bleibt abzuwarten, inwieweit er sich zu einem stattlichen Roll entwickelt (Entschuldigung!). Potenzielle Aktivisten werden sicher mit offenen Armen empfangen.

Für jede Band gehört ein Fähnchen in die Karte!

Go East!

Nachdem Bayern München mit dem Pokalsieg nun seinen zweiten von drei möglichen Titeln eingefahren hat, traue ich auch der Tschechischen Republik den Sieg beim diesjährigen Eurovision Song Contest zu – sofern sie einen Teilnehmer schickt. Denn wie Bayern hat Tschechien zwei Titel bereits in der Tasche: Den ersten holte die Band Sunny Side, die vom Publikum des gestern zuende gegangenen EWOB-Festivals in Voorthuizen auf Platz 1 gewählt wurde. Und auch der Titel European Bluegrass Band Of The Year ging an einen tschechischen Vertreter: G-runs ’n‘ Roses. Die dürfen also nächstes Jahr nach Nashville zum IBMA-Event. Vielleicht müsste das EWOB-Festival konsequenterweise dorthin verlagert werden, wo die meisten und jüngsten Bluegrasser Europas zu Hause sind – nach Tschechien. Sunny Side sorgten jedenfalls für eine sehr angenehm anzuhörende Session im Raum der Tradeshow des Festivals – siehe unten.


Der größte Teil von Sunny Side musiziert – während Banjo- und Mandolinenmeister Jarda Prucha sich als Filmer versucht (an der Mando: Martin Krajlcek).

Drei Tage des Vergessens

Drei Tage lang werden wir alles vergessen. Drei Tage lang werden wir nicht von dieser Welt sein, sondern Teil dieser merkwürdigen europäischen Bluegrass-Welt. Die andere Welt mit ihren Krisen, Katastrophen und Chaoten tritt zurück. Nun gut, das Pokalendspiel am Samstag hätte ich schon gern … egal. Das EWOB-Festival im niederländischen Voorthuizen ruft, und selbstverständlich ist auch dieses Weblog am Start. Je nach Lage der Dinge wird wohl auch manches hier seinen Niederschlag finden – aber erst, wenn der Spuk vorbei ist. Dann aber neu motiviert. Und allen, die stattdessen in Bühl beim BG-Fest weilen: gutes Gelingen und viel Spaß!

Feindliche Fluten

Mir ist nicht zu helfen: Irgendwie habe ich derzeit das Gefühl, die Welt geht bald unter. Erdbeben, Vulkanausbrüche, Wirtschaftskrisen, Umweltkatastrophen, verbale Kriege in Boulevardzeitungen – wo führt denn das hin? Ablenkung tut not. Wie gut, dass es Musik und Musikinstrumente gibt. Doch auch da werden wir nicht von Horrormeldungen verschont: Anfang Mai ist die Region um Nashville von nie dagewesenen Regenfällen heimgesucht worden. Und die Fluten haben nicht nur die Häuser von Gibson-Angestellten weggespült, sondern auch die Werkstätten verwüstet. Sollten also demnächst günstige Gibson-Mandos auf den Markt kommen, könnten sie aus dem Wasserschaden stammen. Für Instrumenten-Nachschub ist nicht gesorgt. Die Europa-Zentrale in Holland kann nur noch das liefern, was eh auf Lager ist. Von der Flut betroffen ist auch das Gebäude der Grand ‚Ole Opry. Das Foto unten dürfte ein Horrorbild für unsere Banjo spielenden Freunde sein, auch wenn es sich wahrscheinlich nicht um ein Prewar-Modell handelt. Ich will mir gar nicht vorstellen, auf einem Hausdach sitzen und meine Mando in den Fluten vorbeitreiben sehen zu müssen. Die Welt spielt verrückt.


Foto: The Tennessean.

Erinnerungen an John

Am 4. Juni vor neun Jahren starb John Hartford. Außer Laurel & Hardy & Chaplin ist er für mich der prominenteste Melonenträger. Der Hut war sein äußeres Markenzeichen, der Song Gentle On My Mind sein musikalisches.  Hartford gehörte zu den Menschen, die man ungeheuer sympathisch findet, ohne sie zu kennen. Ihm zu Ehren haben sich nun seine früheren Begleitmusiker erneut zusammengefunden, unter dem Namen: The John Hartford Stringband. Die Mandoline spielt wie eh Mike Compton, die Gitarre Chris Sharp, der auch das am 25. Mai bei Compass Records erscheinende Album Memories Of John produziert hat. Hinzugesellt haben sich mehrere Gäste, zu denen Labelchefin Alison Brown, Bela Fleck und Tim O’Brien gehören. Und auf Lorena und M.I.S.I.P. liefert der gute Tim erneut die gesanglichen Höhepunkte. Aber auch die Stimme von John Hartford ist immer wieder zu hören – auf einigen bisher unveröffentlichten Tracks.

Das Ergebnis ist kein klassisches Bluegrass-Album, sondern klingt eher wie eine sehr sympathische Oldtime-Session in überaus herzlicher Atmosphäre. Selbst als Zuhörer ist sowas wie menschliche Wärme zu spüren, die sich tatsächlich auch über Lautsprecher vermittelt. Über die musikalische Qualität muss man nicht lang diskutieren. Und John Hartford ist für mich ein Beispiel, dass Oldtime Music ebensolche Energie vermitteln kann wie Bluegrass – nur dass hier die Energie im Song steckt und beim Bluegrass (wenn´s gut passt, zusätzlich) in der Darbietung.

Larry Groce von Mountain Stage hat über John Hartford gesagt: Er war einer der seltensten musikalischen Vögel. Mit dem einen Fuß stand er tief verwurzelt in der Vergangenheit, mit dem anderen letztlich immer einige Schritte in der Zukunft – und beide Füße tanzten. Das ist der Weg.

Chris weg, Gary da

Die Steeldrivers gehörten zu meinen Lieblingsbands im Bluegrass, nicht, weil Mike Henderson so schön Mandoline spielt. Sondern vor allem wegen der Stimme von Sänger Chris Stapleton, die so wunderbar rauh und bluesig klang. Und natürlich zu der von Tammy Rogers so einen schönen Kontrast bildete. Das ist nun leider vorbei: Chris Stapleton singt nicht mehr, jedenfalls nicht für die Steeldrivers. Offenbar will er sich vom Bühnenleben zurückziehen und vor allem als Songschreiber wirken. Die traurigen Abschiedsworte von Mike Henderson sind hier nachzulesen. Der Neue heißt Gary Nichols, ein Sessionmusiker aus dem Umfeld der Muscle Shoals Studios, und wird hier freundlich begrüßt. Die für den 7. September dieses Jahres angekündigte zweite Steeldrivers-CD „Reckless“ wird wieder bei Rounder erscheinen und wurde noch mit dem ursprünglichen Line-up eingespielt. Es wird also nochmals gesoult und geröhrt. Wie Gary Nichols klingt? Höre unten.

Die munteren Brüder

Kürzlich waren die Gibson Brothers das erste Mal in Deutschland, wo sie einen Auftritt im Staatstheater Oldenburg gespielt haben. Über ihre Erlebnisse hat Eric Gibson in einem Tour-Weblog geschrieben, das eine Menge Begeisterung über Deutschland und den Auftritt zeigt. Es enthält außerdem den Beitrag des Oldenburger Lokalfernsehens und seinen unglaublich schlecht Englisch sprechenden Moderator sowie ein kleines Video, das die Gäste aus den USA in munterer Plauderrunde mit Walter Fuchs zeigt. Da wagt sich Leigh Gibson sogar an ein deutsches Lied heran – jaja, beim Bier und Wein lässt es sich herrlich fröhlich sein! Bei den Gibson Brothers spielt ja Joe Walsh Mando. Nein, nicht der von den Eagles. Sondern einer der Guten des Fachs, der seinem Instrument wirklich süße  Töne entlockt. Man lausche auf MySpace nur mal seiner Version von Whiskey Before Breakfast. Oder höre und staune hier: